Neue Heimat Afrika

Pascal Dürr lebt seit seinem 2. Lebensjahr in Kenia, in Steinheim fühlt er sich fremd.

Er ist mit zahmen Affen, Gazellen und Buschbabys aufgewachsen. Als einziges weißes Kind inmitten von Dunkelhäutigen. Ein Junge, der Kiswahili besser spricht als Deutsch. Und der sich als echter Kenianer fühlt. Pascal Dürr ist 12 Jahre alt und lebt seit seiner frühesten Kindheit in Msambweni, einem kleinen Dorf im Südosten Kenias. Ursprünglich kommt er aus Steinheim.

Zehn Jahre ist es her, dass Pascals Mutter, Gudrun Dürr, beschloss, mit ihrer Familie in Kenia zu leben. Sie hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Waisenkindern eine Perspektive zu geben, in einem Land, das zu großen Teilen geprägt ist von tiefer Armut. Die Dürrs haben in dieser Zeit mit Unterstützung ihres selbst gegründeten Vereins „Projekt Schwarz-Weiß“ unglaublich viel bewegt in Msambweni. Zwei Kinderdörfer wurden in den vergangenen Jahren errichtet, die die Namen „Nice View Children’s Village I und II“ tragen. Hier haben nicht nur über 50 Waisenkinder ein neues Zuhause gefunden, hier ist eine ganze Infrastruktur entstanden: bestehend aus Schule, Kindergarten und Ausbildungsbetrieb. Derzeit wird ein Krankenhaus gebaut.

Pascal kennt all das, seitdem er zwei Jahre alt ist. Aus Kenia will er nicht mehr weg. Es ist seine Heimat. Deutschland kennt er nur von zwei Besuchen. „Zu kalt“ ist es ihm dort. „Man muss da so viel Kleidung anziehen, dass man sich kaum bewegen kann“, erinnert er sich. Und an den Schnee, den er erst einmal gesehen hat in seinem Leben. Der hinterließ einen bleibenden Eindruck, ebenso wie das Fernsehen und die „tollen Süßigkeiten“. Ansonsten kann Pascal mit Deutschland nicht viel anfangen, schaut sich aber gern alte Fotos seiner Eltern an und lässt sich von seiner Oma Johanna Geschichten erzählen, wenn sie ihn einmal im Jahr in Kenia besucht. Obwohl Mutter und Vater Deutsch mit ihm sprechen, antwortet Pascal meist auf Englisch. Auch in der Schule wird Englisch gesprochen, in der Freizeit mit seinen Freunden ist Kiswahili angesagt. „Eine schwierige Sprache“, sagt Mutter Gudrun. „Es gibt nicht so viele Wörter, man muss alles irgendwie umschreiben“, versucht sie zu erklären. Für Pascal ist Kiswahili inzwischen fast so etwas wie die Muttersprache, „die er auch im Traum spricht“, wie Gudrun Dürr erzählt. „Wir zwingen ihn nicht, Deutsch zu sprechen, vielleicht wird er etwas mehr Interesse daran haben, wenn er älter ist“, sagt sie.

Anfangs besuchte Pascal eine kenianische Privatschule. Sehr wenige Fächer, kaum Sport und fast unmenschliche Strenge prägen dieses Schulsystem. Die Prügelstrafe ist an der Tagesordnung: für vergessene Hausaufgaben, Zuspätkommen, zu lange Harre oder Fingernägel, schmutzige Kleidung, die falschen Schuhe. „Das Schlagen und die Strafen an kenianischen Schulen haben mir sehr zugesetzt – nicht nur, was meine eigenen Kinder betraf“, sagt Gudrun Dürr. Sie versuchte oft, mit den Lehrern zu reden und die Strafmethoden zu diskutieren, wurde aber meist ausgelacht. Dadurch wuchs ihr Bestreben, eine eigene Schule zu gründen – und dank unermüdlicher Arbeit und großer Hartnäckigkeit klappte das schließlich. Heute hat „Nice View Children’s Village II“ eine eigene, internationale Schule, an der kein Kind geschlagen wird. „Hier macht mir das Lernen großen Spaß. Es gibt viele Unterrichtsfächer und danach Arbeitsgemeinschaften. Ich habe mich für Rotkreuz und Wildlife entschieden“, erzählt Pascal. Auch Deutsch wird an der Schule gelehrt, Gudrun Dürr unterrichtet seit einem Jahr selbst. „Pascal ist einer meiner besten Schüler“, sagt sie. Inzwischen besucht ihr Sohn die 6. Klasse. Wenn er im Juni die Prüfungen schafft, kann er im Herbst mit der Senior School beginnen, die vergleichbar mit der deutschen Realschule ist. Auch Abitur kann man dort machen.

Pascal ist das einzige weiße Kind in Msambweni, aber das spielt keine Rolle. „Ich merke das nicht und es lässt mich keiner merken“, sagt er. Weil er Kiswahili spricht, klappt die Integration automatisch. Zwei wichtige Freunde prägen sein Leben. Da ist einmal Joshua, der in seine Klasse geht und mit dem er viel Zeit verbringt. Und zum anderen Masaka, Leiter der Farm, die zum Kinderdorf gehört. Jedes Wochenende und in den Ferien ist Pascal auf der Farm zu finden. Hier werden Gemüse, Früchte und Kokosnüsse für den eigenen Bedarf angebaut. Hühner, Enten, ein Esel und eine Kuh gehören dazu, ebenso wie drei zahme Affen und zwei kleine Gazellen, die mit der Flasche aufgezogen wurden. „Die Tiere leben in Kenia frei und auch ich fühle mich hier freier als anderswo“, sagt Pascal. Masaka hat ihm alles über „farming“ beigebracht und über das Jagen. Ein Großteil des Lebens hier spielt sich draußen ab. Angeln, Schwimmen, Fußball und alles, was mit der Farm zusammenhängt, sind Pascals Hobbys. Darüber hinaus mag er sehr gerne Musik – vor allem Pop und Gospel – schaut gerne lustige DVDs und liest Tierbücher. Mit seinen Eltern lebt er in einem kleinen Haus, in dem er sein eigenes Zimmer hat. Eines seiner Lieblingsgerichte sind Krautspätzle, die Mutter Gudrun manchmal kocht. „Leider gibt es hier selten Sauerkraut zu kaufen. Wir lassen es immer von Besuchern aus Deutschland mitbringen“, sagt sie.

Jetzt im Frühjahr wird Pascal nach langer Zeit wieder einmal nach Deutschland reisen. Fast notgedrungen, denn medizinische Untersuchungen sind bei ihm dringend erforderlich. Das kenianische Gesundheitssystem ist mit dem deutschen in keiner Weise vergleichbar. Und da bei Pascal der Verdacht auf Blutarmut besteht, soll er in Deutschland richtig durchgecheckt und behandelt werden. Doch danach kehrt er wieder zurück – „in das schönste Land, das man sich vorstellen kann.“ Nach Kenia.

Weitere Infos zum „Projekt Schwarz-Weiß“ der Familie Dürr sind unter www.kenia-hilfe.com zu finden.

Quelle
Heidenheimer Zeitung